2.1.3 Wirtschaftlich optimale Lösung einer Seetransportaufgabe
In den vorangegangenen Abschnitten wurden generelle Aspekte des Seetransports und Grundlagen für Wirtschaftlichkeitsrechnungen vermittelt.
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit der Anwendung dieser Grundlagen im maritimen Consultinggeschäft und zwar unter Heranziehung nur eines einfacheren aber typischen Beispiels.
In der Praxis wird der beratende Schiffbauingenieur (Consultant) jedoch sehr unterschiedlichen Aufgabenstellungen begegnen, so daß er jedesmal seinen Lösungsansatz völlig neu strukturieren muß.
Derartige Aufgabenstellungen werden im internationalen Sprachgebrauch häufig mit "Feasibility Study" (Durchführbarkeitsstudie) tituliert.
a) Ermittlung der Seetransportaufgabe
Der technische Consultant steht vor der Frage:
Was soll in welcher Menge und in welchem Zeitraum von wo nach wo transportiert werden und unter welchen Gegebenheiten und Beschränkungen? (= Ziele und Bedingungen).
Gegebene Voraussetzungen und Lösungswege können dann u.a.sein:
1. Der Reeder (dieser Begriff schließt auch andere Betreiber
und übergeordnete staatliche Organisationen z.B in dirigistischen Ländern ein) kennt bereits alle erforderlichen
Zielgrößen und Bedingungen wie
Art und Zustand des Transportguts (Bulkladung, verpackte Güter etc.)
zu transportierende Menge
Zeitraum für den Transport der Ladung
Lade- und Löschhafen
Gegebenheiten der Häfen (Lade- und Löscheinrichtungen, Pierabmessungen etc.)
Beschränkungen der Hauptabmessungen des Schiffes durch Kanäle, Schleusen, Wassertiefen etc.
Sonstige Aspekte (evtl. Charterform etc.).
Mit diesen Informationen (die ggfls. auf ihren Realitätsgehalt zu prüfen sind) kann der Consultant den nächsten
Schritt tun, nämlich das optimale Transportsystem (Flottenzusammensetzung, Schiffstyp etc.) suchen.
2. Der Reeder kennt zwar die grundlegenden Zielgrößen was in
welcher Menge und in welchem Zeitraum von wo nach wo
transportiert werden soll, aber nicht begleitende Gegebenheiten und Beschränkungen. In diesem Fall muß der Consultant
durch Besichtigungen, Interviews, Fragebogen bzw. Literaturstudium die bekannten Zielgrößen ergänzen bevor er den
nächsten Schritt tun kann.
3. Der Transportbedarf ist noch unbekannt. In diesem Fall ist
eine Marktanalyse - vorzugsweise durch (bzw.unter Mitwirkung) einen(s) Volkswirtschaftler(s) oder Transportexperten - auszuführen, die u.a. beinhaltet:
Ermittlung/Prognose der Güterströme in Vergangenheit/Zukunft aufgrund Angebot und Nachfrage/Bedarf
Ermittlung/Prognose der konkurrierenden Transportträger (andere Reedereien, Schiene, Straße, Luft etc.)
und ihr erwartbarer Anteil am prognostiziertem Güterstrom
Prognose des für den Reeder verbleibenden Güterstromes
(Art, Menge, Zeitraum, Lade-/Löschhafen etc.),
Ermittlung begleitender Gegebenheiten und Beschränkung.
Diese Studie bildet -nach Abstimmung mit dem Reeder- die
Grundlage für den nächsten Schritt.
b) Transportmittelbedarfsanalyse:
Nach Kenntnis der Seetransportaufgabe suchen wir nunmehr das optimale Seetransportmittel bzw. -system einschließlich seiner Hauptparameter durch Vergleich von Alternativen. Je nach Gegebenheiten können Vergleichsuntersuchungen u.a. für folgende Alternativlösungen vorzunehmen sein:
Anzahl und Geschwindigkeit bzw. Ladefähigkeit der Schiffe,
Schiffsneubauten versus Second-Hand-Schiffe,
Rückreise in Ballast oder Ladung,
Monoschiffstyp versus Kombischiff, wenn auf der Rückreise
vom gleichen Hafen aus andere Ladungsarten mitgenommen werden
können (z.B. Bulkcarrier versus OBO- oder O/O-Carrier bei
Bulkladung hin und Ölladung zurück),
zusätzliches Anlaufen eines Dritthafens zur Übernahme von
Ladung für den Rückweg,
unterschiedliche Transportsysteme (z.B. Normalschiff versus
Schlepper-Leichter-System oder Leichtertransporter),
Stückgutfrachter versus Containerschiff oder Ro-Ro-Schiff
(erfordert Betrachtung der Gesamttransportkette!),
unterschiedliche Routen (z.B. durch den Suezkanal versus
um das Kap der Guten Hoffnung),
unterschiedliche Be- und Entladesysteme,
Kombination aus mehreren der vorstehend aufgeführten
Möglichkeiten.
Wenn jedoch das (optimale) Seetransportmittel bzw.-system einschl. seiner Hauptparameter dem Reeder schon bekannt ist (z.B. durch Vorgabe im Chartervertrag), erübrigt sich natürlich die Suche nach der optimalen Lösung d.h. die Untersuchung von Alternativen. Es könnte lediglich vom Reeder noch die Untersuchung der Wirtschaftlichkeit für das festgelegte Objekt, z.B. durch eine Kapitalwertermittlung, gewünscht werden, ehe er die Investitionsentscheidung trifft.
Bei unseren nachfolgenden Beispieluntersuchungen gehen wir aber davon aus, daß zwar die Seetransportaufgabe und der Schiffstyp bekannt ist. Die Anzahl und Geschwindigkeit bzw. Ladefähigkeit der Schiffe soll aber noch optimiert werden, d.h.wir suchen die wirtschaftlichste Flottenzusammensetzung unter Anwendung der Annuitätsmethode (Ermittlung der Gesamtjahreskosten AAC und der Required Freight Rate RFR).
c) Beispiel:
i) Ermittlung der Transportdurchführungsparameter:
Diesen ersten Schritt führen wir entsprechend der beigefügten Kurzbeschreibung "Festlegung bzw. Ermittlung der Transport Performance Characteristics" (siehe Anlage 2.10) und dem zugehörigen Berechnungsschema(siehe Anlage 2.11) - ggfls. mittels Tabellenkalkulationsprogramm - durch.
Dabei nehmen wir als gegeben an:
Distanz zwischen Lade- und Löschhafen und zurück DIST: 2 * 3.000 sm = 6.000 sm
Ladeleistung RL: 2.000 t/h
Löschleistung RD: 1.000 t/h
Sonstige Ladehafenzeit TPLO: 10 h pro Rundreise
Sonstige Löschhafenzeit TPDO: 10 h pro Rundreise.
Unter Variation der Schiffsmenge NS (angenommen: 1, 2, 3 Schiffe) und der durchschnittlichen Dienstgeschwindigkeit VSA (angenommen: 13, 15, 17 kn) - letztere durch Iteration der Ladefähigkeit erzielt - wird ermittelt:
Ladefähigkeit der(des) Schiffe(s) DWC
Hafenzeit pro Rundreise TP
Seezeit pro Rundreise TS
Gesamt-Rundreisezeit TT
Anzahl der Rundreisen pro Jahr und Schiff RT.
Die o.a. Annahmen und Ergebnisse der 9 Alternativen sind in Anlage 2.12, 2.13 und 2.14 dargestellt.
Die daraus resultierenden Beziehungen
zwischen Schiffsmenge NS, durchschnittliche Dienstgeschwindigkeit VSA und die Ladefähigkeit der Schiffe DWC sind in Bild 2.15 aufgetragen.
Bild 2.15
ii) Grobe Ermittlung der Hauptdaten der Flottenvarianten:
Im zweiten Schritt ermitteln wir grob auf der Grundlage der "Transport Performance Characteristics" (Anlage 2.12 bis 2.14) und dem mit dem Reeder diskutierten technischen Standard der Schiffe die Hauptdaten der 9 verschiedenen Schiffsvarianten entsprechend der beigefügten Kurzbeschreibung "Festlegung bzw. Ermittlung der Approximative Design Characteristics" (siehe Anlage 2.20) und dem zugehörigen Berechnungsschema (Anlage 2.25). Diese Berechnungen (vorzugsweise erstellt mittels Tabellenkalkulationsprogramm) sind in Anlage 2.26, 2.27 und 2.28 dargestellt. Ihre Ergebnisse werden für die nachfolgenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen benötigt.
iii) Angenäherte Wirtschaftlichkeitsuntersuchung:
Im dritten Schritt ermitteln wir angenähert für den wirtschaftlichen Vergleich der Flottenvarianten die Gesamtjahreskosten und die erforderliche Frachtrate pro Tonne zu transportierender Ladung. Dies erfolgt entsprechend der beigefügten Beschreibung "Ausführung der Approximative Economic Investigation" (siehe Anlage 2.30) und dem zugehörigen Berechnungsschema (Anlage 2.32) in den Anlagen 2.33, 2.34 und 2.35.
Ferner wird dabei der jeweilige Gesamtkapitaleinsatz und der jährliche Treibölverbrauch für den Transport der Gesamtladungsmenge C ermittelt.
Vor Durchführung von Wirtschaftlichkeitsrechnungen in der Praxis sollten alle Kostenfaktoren (und natürlich auch die Finanzierungsfragen) mit dem Reeder abgestimmt und ggfls. von anderen Institutionen erfragt werden, da sie vom Reedereisitz, von der Flagge des Schiffes, von der Nationalität der Besatzung bzw. von vielen anderen Gegebenheiten abhängig sind und daher das Ergebnis beeinflussen.
Dieser Hinweis gilt insbesondere für eine detaillierte Wirtschaftlichkeitsuntersuchung nach der Kapitalwertmethode für die ausgewählte Alternative (siehe nachfolgend unter Pos.v).
iv) Vergleich der Ergebnisse der Flottenvarianten:
Die Gesamtergebnisse für die erforderliche Frachtrate RFR, das investierte Kapital P und der jährliche Treibölverbrauch FCT sind in Diagrammen (siehe Bild 2.36, 2.37 und 2.38) dargestellt. Auf eine Darstellung der durchschnittlichen jährlichen Kosten AAC wurde verzichtet, da in der Tendenz deckungsgleich mit der RFR-Darstellung.
Bild 2.36: Required Freight Rate RFR
Bild 2.37: Invested Capital P
Bild 2.38: Total Fuel Consumption FCT
Es kann eindeutig festgestellt werden, daß bei allen Ergebnissen die Flottenversion A.1 (1 Schiff, 13 kn Geschwindigkeit) die vorteilhafteste ist. Noch etwas vorteilhafter wäre eine Flottenversion mit 1 Schiff und einer Geschwindigkeit unter 13 kn. Die Wahl einer solchen Flottenversion verbietet aber der Charter- bzw. Schiffsverkaufsmarkt, da bereits ein Massengutfrachter mit 13 kn Geschwindigkeit im Bedarfsfall schwer verchartert bzw. verkauft werden kann.
Um die Wiedervercharterung bzw. Wiederverkaufsfähigkeit des Schiffes zu gewährleisten, empfehlen wir in unserem Beispielfall dem Reeder, die Version A.2 (1 Schiff, 15 kn Geschwindigkeit) zu wählen, wobei wir davon ausgehen, daß die etwas höheren durchschnittlichen Jahreskosten AAC (9.316.000 statt 8.698.000 $) auch noch durch die Einnahmen gedeckt werden.
Die letztere Annahme prüfen wir in der nachfolgenden detaillierteren Ermittlung des Kapitalwertes.
Die Wahl der 13 kn-Version A.1 (oder eine Zwischenversion) ist nur dann zu empfehlen, wenn ein sehr langfristiger Chartervertrag (sagen wir min.10 Jahre, besser natürlich 20 Jahre = wirtschaftliche Nutzungsdauer in unserer Rechnung) geschlossen werden kann.
v) Prüfung der wirtschaftlichen Durchführbarkeit der ausgewählten Version
Die in unserem Beispiel ausgewählte Flottenversion A.2 (1 Schiff, 15 kn Geschwindigkeit) wird detaillierter auf ihre wirtschaftliche Durchführbarkeit untersucht, d.h. wir prüfen unter Anwendung der Kapitalwertmethode und unter Annahme prognostizierter jährlicher Einnahmen, ob der Kapitalwert der Investition (in unserem Fall der Gegenwartswert) positiv ist.
Diese Prüfung erfolgt entsprechend der beigefügten Kurzbeschreibung "Erläuterungen zu Net Present Value (NPV) of Cash Flow" (siehe Anlage 2.40) im (Tabellen-)Kalkulationsblatt Anlage 2.41.
Da unser Beispiel einen positiven Kapitalwert ergibt (siehe Summierung der Spalte 19 in Anlage 2.41), kann die Investition empfohlen werden.
Hinzuweisen ist aber auf die Imponderabilien im Beispiel, insbesondere auf die Prognose der Einnahmen und der Betriebskostensteigerungen.