2.3 Ausschreibungsplanung und -durchführung (Tender-Phase)

Nachdem Bedarfs- und Durchführbarkeitsuntersuchungen vom Consultant abgeschlossen und hinsichtlich ihrer Ergebnisse vom Reeder/Betreiber akzeptiert wurden (sofern nicht durch reederei-seitige Vorgabe des Schiffstyps mit seinen Hauptparametern sowie relevanter Gegebenheiten und Beschränkungen von vornherein festgelegt), erfolgt die Ausschreibungsplanung und -durchführung und zwar Es ist immer ratsam, diesen Vorgang durch präzise (entsprechend umfangreiche) technische und kommerzielle Vorgaben durchzuführen. Andernfalls sind die Angebote der verschiedenen Anbieter nur schwer und nicht eindeutig vergleichbar und die Vertragsaushandlungen aufwendig und zeitraubend.

Freiraum für die Kreativität der Anbieter, d.h. für alternative technische und kommerzielle Vorschläge sollte man den Anbietern dadurch geben, daß derartige Vorschläge nur als zusätzliche Alternative zum angefragten Basiskonzept akzeptiert werden.


2.3.1 Entwurf des Schiffes für die Ausschreibung

Grundsätzlich:
Je nach Schiffstyp werden die Hauptabmessungen, die Form und die räumliche Gestaltung des Schiffes - mehr oder weniger - durch Gewichts-, Raum-, Geschwindigkeits- und Funktionsforderungen bestimmt, aber natürlich auch durch die heute umfangreichen Vorschriften und andere Zwänge und Einschränkungen.
Der Entwurf frachttragender Schiffe (insbesondere für trockene und flüssige Massengüter) wird mehr durch Gewichtsforderungen (Tragfähigkeit, Deplacement), der Entwurf nichtfrachttragender Schiffe und meerestechnischer Anlagen mehr durch Raumforderungen bestimmt.
Der Entwurfsvorgang für ein Schiff ist daher nicht nur eine rechnerische Bestimmung der Hauptparameter, sondern auch eine räumliche Gestaltung (Skizzierung) des Objekts.
Dabei ist Optimierung u.a.in Bezug auf anzustreben.


Beispiel:

Nachdem im vorhergehenden Abschnitt eine Seetransportaufgabe wirtschaftlich optimiert wurde mit dem Ergebnis, daß die Bulk-Carrier-Version A.2 (1 Schiff, 60850 t Ladefähigkeit, 15 kn Durchschnitts-Dienstgeschwindigkeit) die empfehlenswerte Alternative darstellt, wollen wir jetzt diese Alternative als Grundlage für die Ausschreibungsunterlagen entwurfsmäßig etwas genauer untersuchen und dabei - beispielhaft - hinsichtlich ihrer Länge optimieren.
Aus Gründen der Vereinfachung nehmen wir in unserem Beispiel an, daß durch diese etwas genaueren Entwurfsuntersuchungen alle sekundären Hauptparameter der Version A.2, die wir im Berechnungsschema "Approximative Design Characteristics" (Anlage 2.26) seinerzeit festlegten/ermittelten (wie Hauptabmessungen, Gewichte, Maschinenleistung) bestätigt werden, d.h. daß keine Korrekturen vorzunehmen sind.
Einzig und allein die Länge des Schiffes wird durch systematische Veränderung optimiert. Durch diese Beschränkung auf Längenveränderung ist eindeutige Folgenerkennung erzielbar. Dabei ist aber sicherzustellen, daß notwendigerweise bei den abweichenden Alternativen die o.a. Ladefähigkeits- und Geschwindigkeitsforderung beibehalten wird, und daß auch folgende Sekundärparameter sichergestellt werden: Berechnungsschemata und Aufstellung der technischen und betriebswirtschaftlichen Daten für die Beispiel-Basisversion A.2.2 (bisherige Version A.2 mit LBP = 214 m und 5Zyl.-Motor/11.100 kW) sowie 4 weitere Schiffslängen und 1 weitere Motorvariante mit 6 Zylindern und PBI = 13.320 kW für die beiden kürzesten Schiffslängen siehe Anlagen 2.60 und 2.61 "Tender Design Characteristics" sowie Anlagen 2.62 und 2.63 "Tender Design Economics".
Diagrammatische Darstellung wichtiger Ergebnisse (RFR, P und PBI) sowie daraus ableitbare Erkenntnisse (das Billige Schiff ist nicht das wirtschaftliche Schiff!) siehe Anlage 2.64 "Wirtschaftliche Optimierung der Schiffslänge".


2.3.2 Anfertigung technischer Ausschreibungsunterlagen,

die auch - mit eventuellen späteren Änderungen - als Vertragsunterlagen dienen:
2.3.3 Anfertigung kommerzieller/administrativer Ausschreibungsunterlagen,

die auch z.T. - mit eventuellen späteren Änderungen - als Vertragsunterlagen dienen:

2.3.4 Auswahl der Anbieter, Aufforderung zur Angebotsabgabe
(selection of bidders, letter of invitation)


Möglichkeiten zur Auswahl der Anbieter:

a) Beschränkte Ausschreibung:

Reeder/Betreiber und/oder Consultant wählen nach eigener Erfahrung z.B.drei oder mehr geeignete Werften aus und fordern sie unter Zusendung der Ausschreibungsunterlagen (siehe unter 2.3.2 und 2.3.3) zur Angebotsabgabe auf.

b) Unbeschränkte Ausschreibung mit Präqualifikation:

Reeder/Betreiber und/oder Consultant plazieren Anzeigen in nationalen oder internationalen (Wirtschafts-)Zeitungen und fordern dadurch interessierte Werften zur Präqualifikation auf (Anforderung von technischen und kommerziellen Unterlagen über die Werft, Referenzunterlagen über gebaute Schiffe).
Auf der Grundlage dieser Unterlagen und evtl.Besichtigung der Werften werden die geeigneten Anbieter vom Reeder/Betreiber und/oder Consultant ausgewählt und unter Zusendung der Ausschreibungsunterlagen (siehe unter 2.3.2 und 2.3.3) zur Angebotsabgabe aufgefordert.

c) Unbeschränkte Ausschreibung ohne Präqualifikation:

Reeder/Betreiber und/oder Consultant plazieren Anzeigen in nationalen oder internationalen (Wirtschafts-)Zeitungen bzw. beauftragen erfahrene Schiffsmakler zwecks Angebotsaufforderung von Werften.
In diesem Fall werden die Ausschreibungsunterlagen (siehe unter 2.3.2 und 2.3.3) häufig nur gegen Zahlung einer Schutzgebühr abgegeben.
Als Bestandteil des Angebots werden oftmals dann auch Qualifizierungsunterlagen von den Anbietern abgefordert.


2.3.5 Angebotsauswertung (evaluation of bids)

In den "Hinweisen für die Anbieter" (Abschnitt 2.3.3) wird u.a. der genaue Zeitpunkt und die Adresse für die Angebotseinreichung durch die Werften angegeben. Nur solche Angebote, die diese Forderung erfüllen, werden (wenn vom Reeder/Betreiber gefordert, in öffentlicher oder nicht-öffentlicher Sitzung) geöffnet und zur (gemeinsamen) Auswertung an den Consultant weitergegeben.
Die Auswertung und Bewertung der Angebote kann nach verschiedenen Methoden erfolgen. Üblich sind z.B.: Nachfolgend werden diese 3 Methoden - ergänzt durch Beispiele - beschrieben und verglichen:

a) Prozentuale Punktbewertung:

Bei dieser Methode - die eine vereinfachte Wertanalyse darstellt -werden die Bewertungskriterien entsprechend ihrer Wichtigkeit für den Reeder/Betreiber vorab (prozentual) aufgeteilt. Die auszuwertenden Angebote erhalten bei den einzelnen Kriterien je nach Erfüllungsgrad entsprechend anteilig (Prozent-)Punkte, die dann summiert werden. Erfüllungsgrad 1,0 entspricht der vollen Erfüllung der Reedervorstellungen. Bei Abweichungen von den Reedervorstellungen ( z.B.höherer Preis, geringerer Lieferumfang, früherer Liefertermin) wird der Erfüllungsgrad wertmäßig (oder nur qualitativ) geschätzt.
Das Angebot mit den meisten Gesamtpunkten ist das beste.

Musterbeispiel:
Bewertungskriterien
Aufteilg.
n. Wichtg.
Erfüllungs-
grad
Punkte




Preis/Lieferumfang
60
0,8
48
Lieferzeit
20
0,5
10
Zahlungsbedingungen
6
1,0
6
Qualifikation/Bonität d. Anbieters
6
0,7
4
Einhaltung der Ausschreibungsbeding.
5
1,0
5
Aufmachung des Angebots
3
0,6
2




Gesamt
100
75

b) Grobauswertung in Geldwerten:

Bei dieser Methode wird für die wichtigsten Bewertungskriterien deren Geldwert angenommen/geschätzt und dann jeweils einzeln oder summiert durch die Preisvorstellung des Reeders geteilt. Die niedrigste Summierung der einzelnen Quotienten bzw. der niedrigste Gesamtquotient bezeichnet das beste Angebot.
Der Bezug auf einen gemeinsamen Nenner (Preisvorstellung des Reeders) erlaubt eine etwas leichtere Erkennung des Abweichungsgrades und die Bildung von Einzelquotienten vor deren Summierung ermöglicht leichtere Abschätzung der Quotienten für ergänzende Kriterien, deren Geldwert schwer oder nicht abschätzbar ist.

Musterbeispiel:

Bewertungskriterien
Reedervorstellung
Angebot



Angebotspreis
PR = 30 Mill.US$
PA = 36 Mill.US$
Nichterfüllg. techn. Forderg/
Lieferumfangsabweichg.
LR = 0
LA = 0,3 Mill.US$
Lieferzeit
TR = 16 Monate
TA = 18 Monate

(weitere Kriterien nach Bedarf einbeziehen)

Wir ermitteln nun die Einzelquotienten:

QP = PA / PR = 36.000.000 / 30.000.000 = 1,2

QL = LA / PR = 300.000 / 30.000.000 = 0,01

QT = (TA - TR) * FW / PR = (18 - 16) * 750.000 / 30.000.000 = 0,05

(FW = Geldwertfaktor, hier mit 2,5% von PR pro Monat eingesetzt)

Aus den obigen Einzelquotienten ermitteln wir nun den Gesamtquotient:

QG = QP + QL + QT = 1,2 + 0,01 + 0,05 = 1,26

Dieser Gesamtquotient kann aber auch in einem Schritt ermittelt werden:

QG = (PA + LA + (TA - TR) * FW) / PR

= (36.000.000 + 300.000 + (18 - 16) * 0,75) / 30.000.000 = 1,26


c) Ausführliche Auswertung in Geldwerten:

Bei dieser Methode, bei der - soweit wie eben möglich - alle Bewertungskriterien und -unterkriterien in Geldwerten (terms of money) behandelt werden, erhalten alle Angebote zunächst eine Basispunktzahl (basic score) von z.B.1000. Diese Basispunktzahl entspricht einem fiktiven Wert PR, der in etwa der Baupreisvorstellung des Reeders bzw. dem Mindestmarktpreis nahe kommt, dabei aber möglichst eine runde Zahl darstellt (z.B. 30 Mill.US$).
Ein Punkt entspricht dann PR/1000 (z.B. 30.000 US$).
Ein Angebot, das allen Erwartungen des Reeders hinsichtlich Preis, Lieferzeit, Zahlungsbedingungen etc. sowie auch allen technischen, kommerziellen und administrativen Vorgaben des Reeders (in den Ausschreibungsunterlagen dokumentiert) voll entspricht, behält seine 1000 Punkte.
Abweichungen von den Erwartungen und Vorgaben des Reeders in Angeboten werden in Geldwerten (durch Rechnung, Schätzung oder Annahmen) bewertet und nach Division durch den Punktwert von der Basispunktzahl abgezogen (oder dieser zugeschlagen, wenn das Angebot besser als die Reedererwartung/-vorgabe ist).
Das Angebot mit der höchsten Punktzahl ist das beste.

Musterbeispiel:

Siehe Anlage 2.80 "Auswertungsschlüssel (Key for Evaluation)" und Anlage 2.81 "Angebotsauswertung", wobei wiederum unser Beispiel-Bulk-Carrier aus Abschnitt 2.3.1 herangezogen wird.


d)Vergleich der drei Auswertungsmethoden:

Methode a) hängt sehr von der Prioritätensetzung und damit auch der (prozentualen) Bewertung der/des Auswerter/s ab.
Der wirtschaftliche Wert einzelner Kriterien wird dabei nicht ausgewogen bzw. richtig erfaßt, d.h.diese Methode ist ungenau und kann leicht zu falscher Bewertung führen.

Methode c) ist zwar aufwendiger, vermeidet aber die Nachteile der Methode a) und ist daher - wenn eben möglich - vorzuziehen.

Methode b) kann als Vorstufe zu Methode c) angesehen werden, die man zur schnelleren Vorauswahl der besseren Angebote aus einer größeren Zahl von Angeboten verwendet. Hierdurch vermeidet man, alle Angebote - d.h. auch die schlechteren - detailliert nach der aufwendigeren Methode c) auswerten zu müssen.


e)Auswertungsbericht:

Nach durchgeführter Auswertung der einzelnen Werftangebote - nach welcher Methode auch immer - ist vom Consultant ein Auswertungsbericht zu erstellen, der neben der Beschreibung des Auswertungsschlüssels und den Auswertungsblättern auch eine vergleichende Gegenüberstellung der Auswertungsergebnisse und eine Empfehlung für die Auswahl des (besten) Anbieters zwecks Einladung zu Auftagsverhandlungen enthält.


2.3.6 Auftragsvergabe

Nach Entscheidung des Reeders auf der Grundlage des Auswertungs- berichts werden entweder Vorab-Preisverhandlungen mit mehreren Anbietern oder gleich Auftragsverhandlungen mit dem ausgewählten Anbieter geführt. In den Auftragsverhandlungen, die vorwiegend am Sitz der Reederei geführt werden, wird der endgültige Inhalt des Bauvertrages und der technischen Vertragsanlagen (Überarbeitung/ Vervollständigung der entsprechenden Ausschreibungsunterlagen) vereinbart und abschließend der Bauvertrag vom Reeder und vom Anbieter/von der Bauwerft unterzeichnet. Oftmals werden auch alle Seiten des Bauvertrages einschl. Vertragsanlagen paraphiert.


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