0. E I N F Ü H R U N G
0.1 Consulting allgemein
Grundsätzlich gilt, daß der Markt der Gegenwart und Zukunft nicht mehr in erster Linie auf die Verfügbarkeit von materiellen Rohstoffen, ihre Umsetzung in materielle Produkte und ihre Nutzungszuführung basiert, sondern in zunehmendem Maße auch auf die Verfügbarkeit von Wissen und seine Nutzung. Fortschrittliche Volkswirtschaften erleben den Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungs- bzw.Informationsgesellschaft.
Gleichzeitig erfolgt eine Globalisierung der Märkte mit der Folge zunehmender Komplexität und wachsendem Konkurrenzdrucks mit den daraus resultierenden Konsequenzen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Bereich.
Schwellen- und Entwicklungsländer streben nach Fortschritt und Einbeziehung in die Globalisierung der Märkte bzw.werden dort hineingezogen.
Diese Gegebenheiten haben auch seit längerem zu einer ausgeprägten Entwicklung des Pflänzchens "Consulting" auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene geführt. Da wir uns in der Folge mit dem Thema "Consulting" beschäftigen, wollen wir zunächst ganz generell klären,
- was ist Consulting,
- wer braucht Consulting und
- wer bietet Consulting
Was ist Consulting?
Das international gebräuchliche, neudeutsche Wort "Consulting" steht für Beratung. Im täglichen Leben kennt man eine Vielfalt von Beratungen wie Anlageberatung, Kundenberatung, Typberatung, Stauberatung etc.,etc., die normalerweise nichts kostet.
Unter "Consulting" ist aber vornehmlich die entgeltliche Beratung von Unternehmungen bzw.Organisationen im privaten und öffentlichen Bereich, zu verstehen. Bekannte Consultingarten sind u.a.:
- Unternehmensberatung, d.h.Beratung hinsichtlich organisatorischer Probleme und Marktorientierung
- EDV-Beratung
- Personalberatung (Hilfe bei der Personalbeschaffung)
- Outplacement (Hilfe bei der Personalentlassung)
- Technische Beratung bezüglich Produkte und Produktion (auch im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit, Sicherheit, Umweltschutz etc.).
- Volkswirtschaftliche und soziologische Beratung
Wer braucht Consulting?
Consulting durch Externe wird überall dort gebraucht, wo das Management von Unternehmen, die öffentliche Verwaltung und die Politik sich selbst nicht fähig bzw.in der Lage sieht, Probleme des Aufbaus und der Verbesserung zu lösen oder wo diese Administrationen Hilfe zur Bestätigung bzw.Durchsetzung ihrer Vorhaben suchen (auch Gefälligkeitsgutachten).
Wer bietet Consulting?
Im Bereich des entgeltlichen Consultings findet man sehr unterschiedliche Beraterformen:
- Die großen Beratungsunternehmen, vielfach mit Dependancen in
diversen Ländern, deren Anteilseigner häufig Banken oder Groß
unternehmen sind (McKinsey, Roland Berger, Boston Consulting,
A.T.Kearney etc.)
- Mittlere und kleinere Beratungsunternehmen sowie Einzelexperten,
die national wie international tätig sind und die oftmals eine
spezielle Ausrichtung haben
- Professoren (z.T.unter Heranziehung von Mitarbeitern und Studenten) und auch Studenten selbst.
Consulting führen aber auch Produktions- und Dienstleistungsunternehmen aus, die sich an Unternehmen z.B.in Schwellen-und Entwicklungsländern beteiligen bzw.die in Exportverträgen zu Consulting
leistungen verpflichtet werden.
Weitere Informationen: Jörg Staute "Der Consulting Report" und darin aufgeführte Literaturquellen.
0.2 Technisch-wirtschaftliches Consulting für Schiffbau, Schiffe
und meerestechnische Anlagen
Das in diesem Lehrfach von mir vorgetragene und auf den Schiffbau-Ingenieur zugeschnittene Thema behandelt primär die technische Beratung hinsichtlich Schiffstechnik und Schiffbautechnik in Verbindung mit Wirtschaftlichkeitsfragen. Einbezogen werden aber auch Aspekte des Schiffahrts- und Schiffbaumarktes, des Transportwesens und der Betriebsorganisation.
Dabei erfolgt eine Schwerpunktsetzung auf das Consulting für Schwellen- und Entwicklungsländer, da nach meinen Erfahrungen hier der größere Bedarf an Beratung für Schiffahrt und Schiffbau vorliegt. Diese Schwerpunktsetzung kann u.a.wie folgt begründet werden:
Insbesondere Schwellen- und Entwicklungsländer streben aus strategischen und gesellschaftspolitischen Gründen vermehrt nach
- Selbständigkeit in Schiffbau, Schiffahrt und Meerestechnik
- Beteiligung an den internationalen Schiffbau- und Schiffahrtsmärkten.
Hierdurch können sie u.a. ihre Unabhängigkeit sichern und ihre Volkswirtschaft verbessern.
Durch ihre Niedriglohnvorteile und ihre wirtschaftspolitische Schwerpunktssetzung gelingt es diesen Ländern auch zunehmend, wesentliche Marktanteile in Schiffbau, Schiffahrt und Meerestechnik (zunächst: niedriger/mittlerer Technologie bzw. Ansprüche) zu gewinnen, und zwar zu Lasten der bisher in diesen Wirtschaftszweigen führenden Industrieländer, die sich daher zunehmend auf die Produktion/den Betrieb mit höherer Technologie bzw. höheren Ansprüchen zurückziehen müssen (Schiffbau: z.B. Kreuzfahrtschiffe, Fähren, Gastanker, Schnellfahrzeuge).
Zur Gewinnung und den weiteren Ausbau dieser Marktanteile benötigen diese Schwellen- und Entwicklungsländer aber erhebliche Beratung und Unterstützung durch erfahrene Experten und Unternehmen aus den Industrieländern, d.h.die Abwanderung von wesentlichen Marktanteilen aus den Industrieländern sowie der erhebliche Beratungsbedarf in den Schwellen- und Entwicklungs-ländern zwingt auch das deutsche Schiffbauingenieurpotential dazu, sich mehr und mehr auf den internationalen Know-How-Transfer durch Beratung und Unterstützung zu orientieren.
In Anlage 0.01 und 0.02 erfolgt eine vergleichende Betrachtung der generellen Ziele und Aktivitäten in Schiffahrt bzw.Schiffbau zwischen den relevanten Industieländern und den Schwellen- und Entwicklungsländern sowie dem daraus ableitbaren Consultingbedarf.
Zielobjekte für das technisch-wirtschaftliche Consulting:
- Neu(auf)bau bzw. Modernisierung von Flotten und Einzelschiffen bzw. meerestechnischen Geräten
- Neuaufbau bzw. Modernisierung von Werftanlagen für den Bau, den Umbau und die Reparatur von Schiffen und meerestechnischen Geräten
- Betrieb von Werftanlagen.
Zielgruppen für das technisch-wirtschaftliche Consulting:
- Reedereien/Betreiber von Schiffen und meerestechnischen Anlagen sowie (deren übergeordnete) staatliche Organe
- Werftunternehmen sowie (deren übergeordnete) staatliche Organe.
Da die Realisierung von Projekten nur dann eine Chance hat, wenn die erforderlichen Geldmittel für das Projekt und die dazu erforderliche Beratung zur Verfügung stehen, sind "Mitspieler" bei Consultingtätigkeiten für Schwellen- und Entwicklungsländer häufig nationale und internationale Finanzierungsinstitute und Organe von Geberländern (z.B. Weltbank, internationale Regionalbanken, Europäische Union, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammen-arbeit), deren oftmals sehr anspruchsvolle Regeln bei der Einwerbung und Durchführung von Consultingaufträgen Berücksichtigung finden müssen.
Ganz generell umfassen meine Vorlesungen folgende Themen:
- Betrachtung der weltweiten Entwicklung von Schiffahrt, Meerestechnik und Schiffbau (Das Schiffbauer-Scenario)
- Consulting für das Transport- bzw. Arbeitsmittel "Schiff/meerestechnische Anlage" (Reeder-/Betreiber-orientiertes Consulting):
* Vorplanung: Bedarf/Durchführbarkeit/Wirtschaftlichkeit
* Planung,Ausschreibung und Auftragsvergabe des/der Objekts/e
* Bauüberwachung und Abnahme des/der Objektes/e
- Consulting für das Produktionsmittel "Werft" (Werft-orientiertes Consulting):
* Vorplanung: Bedarf/Durchführbarkeit/Wirtschaftlichkeit
* Planung, Ausschreibung und Auftragsvergabe der Investitionsleistungen
* Bauüberwachung und Abnahme der Investitionsleistungen
* Planung und Realisierung der Unternehmensorganisation
- Consultingpraxis:
* Grundlagen
* Einwerbung von Consultingaufträgen
* Planung und Durchführung von Consultingtätigkeiten.
Wissensquellen für das technisch-wirtschaftliche Consulting sind in Anlage 0.03 dargestellt.
In der praktischen Ausübung von Consultingtätigkeiten wird man teilweise zur durchgängigen Begleitung der Projektrealisierung, aber häufig auch nur für Teilbereiche herangezogen und diese haben oftmals untypischen Charakter.
Beispiele dazu aus eigener Praxis:
- Durchführbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsstudie für den Transport von Kohle und Erz von Australien nach Pakistan
- Wirtschaftlichkeitsstudie für den Vergleich eines Schlepper-Leichter-Systems mit konventionellen Seeschiffen für den Massenguttransport
- Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen für verschiedene Schiffsvarianten sowie Unterstützung bei Ausschreibung, Auftragsvergabe und Bauaufsicht für ausgewählte Semi-Containerschiffe und Containerschiffe für eine indonesische Reederei
- Vorplanung, Unterstützung bei Ausschreibung und Auftragsvergabe sowie Bauüberwachung für die Modernisierung einer indonesischen Werft einschl. Neubau eines Schwimmdocks
- Planung, Unterstützung bei Ausschreibung und Auftragsvergabe sowie Bauüberwachung für ein Fischerei-Forschungsschiff für eine argentinische Behörde
- Planung, Unterstützung bei Ausschreibung und Auftragsvergabe sowie Bauüberwachung für ein Forschungsschiff für ein wissenschaftliches Institut in Kuwait
- Studie bezügl. Technologietransfer für den Bau von LPG-Carriern in Indonesien
- Entwicklung eines Schiffskonzeptes für den Bau und den Einsatz in Indonesien, das für unterschiedliche Ladungsarten variiert werden kann
- Ausschreibungsplanung für den Neubau eines Tagesfahrgastschiffes für eine türkische Reederei
- Beratung der Unternehmensberatungsgesellschaft A.T.Kearney in einem Einkaufsoptimierungsprojekt (Global Sourcing) für zwei große europäische Werftgruppen (Fincantieri/Italien, AESA/Spanien)
- Beratung und Unterstützung der staatlichen indonesischen Schiffbauindustrie bezügl. Modernisierung und Ausbau einer Reihe von Werften im Raum Jakarta
- Durchführbarkeitsstudie für die Einrichtung einer Auto- und Fahrgastfährlinie zwischen Deutschland und Estland
- Beratung und Bauaufsicht für den Bau von drei seegehenden Baggern für eine staatliche indonesische Baggergesellschaft
- Inspektion von Donau-Flußfähren zwischen Rumänien und Bulgarien sowie Beratung und Unterstützung für die Rehabilitation dieser Fähren.
- Bauaufsichtsberatung und Zeichnungsprüfung für 5 schnelle Fahrgastfähren für Indonesien
Die Ausführung technischer Consultingleistungen für Schiffahrt und Schiffbau - insbesondere von Schwellen- und Entwicklungsländern - erfolgt vornehmlich durch:
- Freie Berater/Gutachter ("Einzelkämpfer") z.B. für Vorstudien im Auftrag der GTZ
- Consultingunternehmen (z.B. international tätige Ingenieurbüros)
- Erfahrene Reedereien, die mit Reedereien in Schwellen- und Entwicklungsländern zusammenarbeiten (wollen)
- Erfahrene Werften aus Industrieländern, die Joint Ventures mit Werften in Schwellen- und Entwicklungsländern betreiben wollen bzw. die im Rahmen von Schiffbauaufträgen Nachbauwerften in diesen Ländern beraten müssen
Die technischen Berater (Consultants) für Schiffahrt und Schiffbau sollten vorzugsweise Wissen und Erfahrung in genereller und breiter Form aus folgender, praktischer Tätigkeit mitbringen:
- Bei technisch-wirtschaftlichen Reedereiberatungen: Schiffsentwurf und Kostenkalkulation
- Für Bauaufsichten: Betriebsingenieur oder Schiffsingenieur
- Bei technisch-wirtschaftlichen Werftberatungen: Betriebsingenieur oder Fertigungsplaner
In allen vorgenannten Fällen ist es von Vorteil, wenn das Ingenieurstudium um ein betriebswirtschaftliches Aufbaustudium (Wirtschaftsingenieur) bzw.ein berufsbegleitendes Betriebswirtschafts-/Management-Studium ergänzt wird.
Sind darüberhinausgehende Kenntnisse - insbesondere bei komplexeren Projekten - erforderlich, ist die Zusammenarbeit mit relevanten Experten zu suchen, wenn nicht sowieso der technische Berater in ein Team von unterschiedlichen Experten integriert wurde (z.B.von einer Unternehmensberatungsfirma).
Ziel meiner Vorlesungen soll sein:
- Fachliche Grundlagen für das technisch-wirtschaftliche Consulting zu schaffen, wobei jedoch anzumerken ist, daß viele Teile dieser Vorlesungen auch bei Tätigkeiten auf (hiesigen) Werften und in anderen Unternehmen anwendbar sind und daß der Inhalt dieser Vorlesungen auch eine Basis für den Ingenieur als Führungskraft bildet
- Gefühl für wirtschaftliche Zusammenhänge zu vermitteln/Kostenbewußtsein zu entwickeln
- Bereitschaft zur internationalen Mobilität zu wecken
- Fachenglisch zu verbessern
- Mentalität und Anforderungen internationaler Kunden und Banken zu erläutern.
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